banner ad

Alles Guru oder was?

 
Von Karsten Kulms

Foto: Christiane Slawik

Foto: Christiane Slawik

 

Wohl kaum ein Thema wird in Reiterkreisen so kontrovers und häufig auch polarisierend diskutiert wie die Frage nach der „richtigen“ Reitweise und der damit verbundenen Trainingsmethode. Angebote, sich einer bestimmten „Schule“ beziehungsweise Lehrmeinung und der damit in Verbindung stehenden Person des Pferdetrainers anzuschließen, gibt es sehr viele. Aber der Grat zwischen einem kompetenten Pferdetrainer und einem „Guru“ ist sehr schmal und kann leicht überschritten werden.

 

Die einen sparen sich ihren gesamten Jahresurlaub auf, um für einige Wochen einem sehr bekannten US-amerikanischen Pferdetrainer auf Deutschlandtournee hinterherzureisen und während seiner Veranstaltungen ausschließlich als „Verkäufer“ seiner Bücher und DVDs zu arbeiten. Natürlich unentgeltlich.
Andere buchen Seminare oder Workshops, um zu „lernen“, sich wie ein Pferd zu verhalten, und sich dabei auf dem Hallenboden herumzuwälzen und mit Seilen und dicken Stricken nach einem frei in der Halle umherlaufenden Pferd zu werfen. Sie möchten so mit ihm „kommunizieren“.
Sie meinen, das sei alles aus der Luft gegriffen? Nein, das sind (leider) ganz reale Beispiele dafür, wie weit pferdebegeisterte Menschen gehen, um letztendlich irgendwie mit ihrem Pferd zurechtzukommen und dabei glücklich zu werden.
 „Früher gab es noch Pferdeleute. Heute gibt es nur noch Leute mit Pferden.“

Wohl die wenigsten, die heute ihre Freizeit mit einem Pferd teilen, stammen aus einer alteingesessenen Züchterfamilie, in der bewährtes, tiefgründiges Wissen über den Umgang und das Verhalten eines Pferdes ganz selbstverständlich von Generation zu Generation weitergegeben und im täglichen Umgang mit Pferden praktiziert und geübt wurde.
Pferdewissen moderner Freizeitreiter, und dazu zähle ich alle, die mit dem Reiten ihrer Pferde kein Geld verdienen müssen, speist sich heutzutage in der Regel und in erster Linie durch einen wie auch immer gearteten Reitunterricht. Hier steht der praktische Umgang mit dem Pferd und „das Reitenlernen“ verständlicherweise im Vordergrund, will man doch mit seinem Freizeitpartner im Reitsport schnell vorankommen. Was häufig fehlt, sind dabei theoretische Lerneinheiten, die dem Schüler die zugegeben sehr komplexen Sachverhalte der Biomechanik des Pferdes sowie seine tierartspezifischen Verhaltensmuster nahebringen. Und es ist erschreckend, wie wenig viele Pferdesportler manchmal über ihr Pferd wissen. Die zahllosen durch schlechtes Reiten verdorbenen Pferderücken sprechen hier eine sehr deutliche Sprache. Fehlerhaftes Reiten steht dabei in krassem Gegensatz zu den immer „moderner“ werdenden Materialien von Sätteln und Trensen und der (sehr häufig unreflektierten und wenig hinterfragten) Verwendung scheinbar „unvermeidlicher“ Hilfsmittel wie Sporen, Gerten, Kapp- und sonstigen Zäumen.
Doch es geht noch schlimmer: Befragt, warum sie ihre Pferde mit kiloweise Leder am Kopf in Haltung zwingen und welcher Sinn, meist aber welcher Unsinn, dahintersteckt, ist bei vielen Reitern schnell das „Ende der Fahnenstange“ erreicht. Warum ein Sperrhalfter? Warum englisch verschnallt? Was ist der Unterschied in der Wirkung zwischen einem hannoveranisch und einem mexikanisch verschnallten Reithalfter? – Eine sinnvolle Antwort: meist Fehlanzeige. Und obwohl es meterweise teils sehr gute Literatur zum Thema gibt, wie ein Pferd anatomisch richtig an der Hand und unter dem Sattel geht, scheinen die meisten Pferdeliebhaber mit diesen Büchern zu Hause bestenfalls einen wackelnden Tisch oder Stuhl abzustützen.

 Problempferd – Problem Pferd?

Wer sich die Meinungen in den zahllosen Internetforen oder in den zunehmend beliebter werdenden Fernsehformaten zum Thema „Probleme mit meinem Pferd – welcher Trainer passt zu mir?“ einmal etwas kritischer anschaut, wird schnell zu der Feststellung kommen, dass die Grundkonstellation der allermeisten „Problemfälle“ immer dieselbe ist: Junge, meist nur wenig erfahrene Reiterin kauft sich ein junges Pferd. Sobald es etwa vier Jahre alt ist, fangen dann die Probleme an, und es wird händeringend nach „der“ Methode und „dem“ Trainer gesucht, der alles schnell wieder ins Lot bringt.
Dabei wird aus Nichtwissenheit oft völlig ausgeblendet, dass junge Pferde mit etwa vier Jahren in die Pubertät kommen und die nachfolgenden Jahre dadurch zu einer harten Zerreißprobe zwischen dem Pferd und der Zuneigung seines Halters werden können. Wird in diesem Fall einer der viel zitierten „Pferdeflüsterer“ zurate gezogen, braucht der Trainer oder die Trainerin nichts anderes zu tun, als den Ratsuchenden für eine Weile „bei der Stange“ und davon abzuhalten, entnervt sein Pferd zu verkaufen. Denn das pubertäre Verhalten von Pferdeteenies löst sich im Alter von etwa sieben bis spätestens neun Jahren von selbst wieder auf. Dieser verhaltensphysiologisch normale Prozess ist die Basis dafür, dass viele „Pferdegurus“ bei der Arbeit mit ihren vierbeinigen Schützlingen ganz erstaunliche „Erfolge“ bei der Korrektur eines problematischen oder ungewollten Verhaltens erzielen. Doch ihre wahre Leistung besteht nur darin, in dieser sensiblen Entwicklungsphase eines Pferdes, die einen Ausbilder zugegebenermaßen wirklich ordentlich Nerven kosten kann, wenigstens nichts falsch gemacht zu haben.

Sprich mit mir!

Ein häufig zu beobachtendes Phänomen vieler hochgelobter „Pferdegurus“ ist es, sich nach einer gewissen Zeit der Marktpräsenz vom mühsamen Geschäft der Korrektur verrittener Pferde abzuwenden und sich unter dem Stichwort „Kommunikation Mensch – Pferd“ neue Absatzmärkte erobern zu wollen. Kaum eine Pferdetrainer-Internetseite, die nicht darauf verweist, dass der betreffende Trainer auch „Kurse für Führungskräfte“ oder gar „persönliche Coachings“ für Menschen anbietet, die unter einer aus welchen Gründen auch immer misslungenen Beziehung zu ihrem Pferd leiden.
Was viele derart Verunsicherte dabei übersehen, ist die erschütternd einfache Tatsache, dass sich mangelndes Fachwissen nun mal nicht durch einen Selbstfindungstrip kompensieren lässt. Es nützt einem Pferd rein gar nichts, wenn sein Besitzer zwar (meist für viel Geld) zu sich selbst gefunden hat, seinem Vierbeiner aber nach wie vor mit derselben harten Hand und/oder dem gleichen instabilen, weil unausbalancierten Sitz das Leben schwer macht. Auch das genaue Gegenteil ist der Fall, nämlich wenn der Besitzer aus lauter Furcht, seinen Vierbeiner durch sein Verhalten unnötig „unter Druck“ zu setzen, ganz auf die Arbeit mit seinem Pferd verzichtet und das Tier damit zu einem Leben in Untätigkeit und Langeweile verdammt – auch das habe ich in meiner langjährigen Arbeit als Tierheilpraktiker schon häufig genug erlebt.
Über „die“ eine Methode, in eine wie auch immer geartete Kommunikation mit seinem Pferd zu treten, darüber streiten sich die Geister nicht nur in Internetforen und Blogs überaus trefflich. Und bisweilen prallen dabei ganze „Schulen“ und Lehrmeinungen aufeinander, die gegenseitig kein einziges gutes Haar an der jeweils anderen Lehrmeinung lassen.
Das ganz große Problem neben der fachlichen Unsicherheit vieler sehe ich vor allem darin, dass hinter vielen, sehr publikumswirksamen Trainingsmethoden Pferdetrainer stehen, deren Name dann synonym für „das“ eine richtige Reiten oder „den einen“ richtigen Umgang mit dem Pferd stehen.

Die Macht der Namen

Die Situation, in die ein Pferdetrainer dabei kommt, ist natürlich auch nicht gerade einfach. Denn viele Ratsuchende sind ab einem gewissen Punkt im Umgang mit ihrem Pferd mit ihrem Pferdelatein am Ende. Die Situation ist dabei fast immer die gleiche: Es wurde scheinbar „alles“ ausprobiert, nichts hat zu einem zufriedenstellenden Ergebnis geführt. Wer nun noch etwas an dem Pferd ausrichten kann, muss nach Einschätzung des verzweifelten Pferdehalters schon fast etwas „Magisches“ an sich haben, um es wieder zu richten. Und in der Tat haben manche Menschen auf Pferde tatsächlich eine ganz besondere Wirkung oder angeborene Ausstrahlung, die andere beim besten Willen nicht lernen können.
Was die meisten großen Namen der Pferdetrainerszene auszeichnet, ist vor allem eine oft jahrzehntelange Erfahrung im täglichen (!) Umgang mit allen möglichen Pferden und Verhaltensproblemen. Wie sich dabei anhand der zahlreichen Lehrvideos und -bücher zeigt, scheinen die Anhänger des Westernreitsports besonders empfänglich für personengeprägte Trainingsmethoden zu sein. Was vermutlich auch daran liegt, dass es für das Westernreiten – anders als im klassisch orientierten europäischen Reitsport – keine wirklichen Ausbildungsgrundlagen für das (An-)Reiten von Pferden gibt, sodass die persönlichen Erfahrungen einzelner Trainer weitaus stärker in den Vordergrund treten können, als es im klassischen Reitsport unter dem übermächtigen Schatten der H.Dv.12 als der Grundlage zumindest der deutschen Reiterei möglich wäre.
Haben vereinzelt Trainer auf Wettkämpfen (!) Erfolg mit den von ihnen ausgebildeten Pferden, scheint es für die Anhänger jener Trainer häufig nahezu egal zu sein, wie diese Erfolge zustande kommen. Da werden Pferde unter wildem Schwingen mit Seilen und Stricken durch das Roundpen „zentrifugiert“, von sich weggeschickt und durch die Gegend kommandiert, was das Zeug hält. Im Lauf der Zeit bildet sich bei vielen namhaften, in der entsprechenden „Szene“ weitbekannten Trainern ein bestimmtes, häufig sehr gegenständliches „Markenzeichen“ ihrer Arbeit heraus, mit dem ihre Ausbildungsmethode untrennbar verbunden ist. Pfiffige Geschäftemacher nutzen dann diese Wiedererkennungsartikel, um sie in großem Stil an den Mann, noch weitaus häufiger an die Frau zu bringen. Meist mit großem Erfolg.
Der Fairness halber soll nicht unerwähnt bleiben, dass nicht nur das Westernreiten, sondern auch die klassische Reiterei ein weites Betätigungsfeld für „Gurus“ aller Art bildet, auch wenn es hierbei aus den bereits erwähnten Gründen ungleich schwerer ist, sich mit einer bestimmten, möglicherweise auch noch selbst entwickelten Methode in den Vordergrund zu schieben.
Bleibt es lediglich bei der Begeisterung für eine bestimmte Ausbildungsmethode, ist die Sache noch vergleichsweise harmlos. Viel schlimmer wird es, wenn sich ein Ausbilder zum geistigen „Übervater“ entwickelt und die Unsicherheit und Unkenntnis seiner Anhänger zum eigenen (wirtschaftlichen) Vorteil nutzt. So geschehen bei einem in Reiterkreisen weithin bekannten „Trainerguru“ mit zirzensischem Hintergrund, dessen Lehre sich nicht nur auf den Umgang mit Pferden bezieht, sondern vom Pferdebesitzer selbst einen radikalen Bewusstseinswandel in seinem Sinne abverlangt. Hierbei kann aus Begeisterung dann schnell psychische Abhängigkeit werden.

Fazit

Auch wenn es im Alltag häufig doch nicht zum Schlimmsten der vorgenannten Art kommt, verstellt vielen Anhängern einer bestimmten Trainingsmethode nach Person „X“ ihre voreingenommene Wahrnehmung den Blick auf die tatsächlichen Bedürfnisse und Probleme ihres Pferdes. Und auch wenn Pferde eine riesengroße Projektionsfläche für die eigenen Wünsche und Befindlichkeiten bieten – es hilft alles nichts: Ohne ein gewisses, von allen Reitarten und Trainingsmethoden losgelöstes fundiertes Basiswissen um die realen Grundlagen der Haltung sowie der physiologischen und psychosozialen Bedürfnisse von Ponys und Pferden als ausgesprochenen Herdentieren sowie die biomechanischen Zusammenhänge bei Sätteln, Trensen und dem Einsatz der richtigen Hilfengebung gerät der Alltag mit Pferd unweigerlich zum Fiasko. Und es ist schon eine sehr bedenkliche menschliche Eigenheit, Probleme mit seinem Pferd und deren Lösungen lieber für eine Zeit lang auf einen „Pferdeguru“ abzuwälzen, als einmal ehrlich zu überlegen, ob denn nicht vielleicht das eigene Verhalten, die eigene Einstellung und das eigene Handeln die eigentliche Ursache für Probleme in der Ausbildung des heißgeliebten vierbeinigen Freizeitpartners ist. An seiner eigenen Wissensbasis zu arbeiten, kann einem nämlich kein Pferdetrainer oder gar „Pferdeguru“ der Welt abnehmen. Der sollte lediglich dann zum Einsatz kommen und gerufen werden, wenn es um die entsprechenden Feinheiten und Raffinessen einer bestimmten Reitweise geht – und nicht, um ohne großen Aufwand eigenes fehlendes Basiswissen auszugleichen.

 

In der Rubrik „Meinung“ veröffentlichen wir die persönlichen Ansichten eines oder mehrerer Autoren zu einem brisanten Thema. Deren Ansichten müssen nicht mit denen der Redaktion übereinstimmen.
Uns interessiert, welchen Standpunkt unsere Leser vertreten. Sie möchten Ihre Meinung zum Thema äußern? Schreiben Sie uns an: redaktion@feinehilfen.com, oder diskutieren Sie auf unserer Website mit: www.feinehilfen.com

Tags: , ,

Category: Aktuelle Themen

Comments (2)

Trackback URL | Comments RSS Feed

  1. Uschi Höllinger sagt:

    Stimme größtenteils zu, es gibt keine Poblempferde, sondern Problemreiter, was meist gleichbedeutend ist mit fehlender Erfahrung, Überschätzung des eigenen Könnens bei gleichzeitiger Unterschätzung der Schwierigkeiten bei der Pferdeausbildung. Man kauft sich heute junge Pferde wie einen Schosshund, sprich ohne selbst wenigstens das ein oder andere Jahr gelernt zu haben. Dann ist man schnell am Ende der Fahnenstange angelangt und schiebt die Schuld aufs Pferd, wenns nicht mehr geht. Aber Schuld ist nie das Pferd, sondern IMMER der Ausbilder, sprich Besitzer. Und hier sehe ich meine einzige echte Meinungsabweichung zum Artikel: es gibt keine pubertären Jahre des Pferdes, dennoch gibt es eine lange Durststrecke zwischen dem ersten anreiten und der echten Durchlässigkeit, sprich, bis ein Pferd ein echtes ausgebildetes Pferd ist. Pferde sind gerade anfangs super lernfähig, dann meint man nach ein paar Wochen oder Monaten, es klappt ja alles super und macht dies und jenes noch . Und dann ist das Pferd überfordert, denn die ganzen Lerninhalte der ersten Zeit sind noch nicht gefestigt, das dauert Jahre, bis sich das gesetzt hat, das ist genau wie bei Kindern. Drum scheitern viele, nachdem das Pferd gerade gut angeritten ist – sie überfordern das Pferd. Naja, und dann machen die Gurus ein super Geschäft draus, da sollte man auch nicht zu traurig sein, dass die den arroganten Möchtegernreitern das Geld aus der Tasche ziehen, das nennt man dann „Lehrgeld zahlen“…. ist allerdings recht nervig, wenn man von irgendwelchen lernunwilligen und beratungsresistenten Nichtkönnern stets hören muss, was sie ach für ein schwieriges Pferd hätten, und was ich für ein Glück habe, dass meines so brav ist – ich sag dazu inzwischen nur noch : „Wie der Herr, so’s Gescherr“.

  2. Dieser Bericht spricht mir aus dem Herzen !
    Seit 35 Jahren arbeite ich als Fachspezialist für die psychologische Korrektur und Betreuung von Pferden mit Schwerpunkt Problempferde, hierzu setze ich etwa 1 Drittel für die Arbeit am Pferd und 2 Drittel am Reiter/Besitzer ein. Methoden gibt es dazu nicht, dazu sind Pferd und Situationen zu vielfältig, und die Wissenschaft ist noch längst nicht am Ende ihrer Forschung.
    Die Pferde, die wir kennen, sind lediglich die Verfälschungen des ursprünglichen Pferdes durch den Menschen, deren Verhalten nun in Methoden zu packen erscheint mir fast schon krimminell!
    Beschützen und Behüten ist ein Naturgesetz auf unserem Planet und ist die Grundlage für ein mögliches Zusammenleben, Bekämpfen und Besiegen schafft Gegner und Feinde…die größten Fähigkeiten des Menschen, deshalb soviele Methoden und Gurus!
    In meiner Arbeit mit sogenannten Problempferden steht die Rehabilitation des Pferdes und der Unterricht am Mensch im Vordergrund, das Verständnis für die Handlungsweisen eines Pferdes ist die Grundlage um Pferdegerecht richtig handeln zu können und das Wissen vom Wesen der Pferde.

Leave a Reply