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Die Kavalleriereiterei – eine Arbeitsreitweise?

Interview mit Peter Lachenmayer +++ LESEPROBE aus Feine Hilfen 36 +++

50 Reiter aus Deutschland, Polen und Ungarn üben anlässlich der Kavallerietage in Crawinkel 2018 das Reiten in großer Formation. (Foto: Rossfoto)

Kaum etwas hat die Reiterei im Laufe der Geschichte so geprägt wie die Kriegsführung zu Pferde. Heute wird eine Kavallerie von Staaten meist nur noch aus Prestigegründen unterhalten. In Deutschland hat sich der Kavallerieverband zum Ziel gesetzt, diese Form der Reiterei zu bewahren und historisch aufzuarbeiten. FEINE HILFEN sprach mit dem ersten Vorsitzenden des Verbandes über die Kavallerieausbildung nach der H.Dv.12 damals und in unserer heutigen Zeit.

FEINE HILFEN: Was unterscheidet die Kavallerie-Ausbildung von früher deutlich von unserer heutigen Reiterei?

Peter Lachenmayer: Grundsätzlich muss gesagt werden, dass es DIE Kavallerie-Ausbildung nicht gab. Die Zeit der modernen Kavallerie beginnt um 1550 und endet eigentlich schon vor dem Zweiten Weltkrieg. Die Ausbildung der Kavallerie hat sich über die Jahrhunderte stark verändert, getrieben von Änderungen in der Militärtaktik, Waffentechnik, bei Pferderassen und nicht zuletzt der fiskalen Leistungsfähigkeit der Staaten. Über die reiterlichen Fähigkeiten der Kavallerie vor 1850 herrschen oft Legenden. Tatsächlich war das Leistungsniveau oft schlecht, weil Kavallerie teuer war und sich viele Staaten diese nur zu Kriegszeiten leisten konnten. Vielfach waren Kavallerieregimenter vor 1850 in Friedenszeiten nicht oder nur teilweise beritten, das Personal überaltert. Man kann sich vorstellen, was das für Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit hatte. Die große Zeit der reiterlichen Leistungen in der Kavallerie beginnt mit der Mitte des 19. Jahrhunderts und findet ihren Höhepunkt kurz vor dem Ersten Weltkrieg. Sie fällt zusammen mit der Schaffung der H.Dv.12 im Jahr 1912. Deshalb beziehe ich mich in den Antworten meist auf diese Epoche, weil sie reiterlich am interessantesten ist. Unser heutiger Reitsport (Dressur, Springen, Vielseitigkeit, selbst Voltigieren) wurde von der Kavallerie ab 1890 erfunden. Grund war, durch Wettbewerb und Prüfungen das Leistungsniveau von Offizieren und Unteroffizieren (also den Ausbildern) zu heben und damit das gesamte Ausbildungsniveau. Durch Spezialisierung, wie sie ja im Sport immer über die Zeit auftritt, hat sich das Spektrum des modernen Reitsports stark verengt, zugleich die Leistungen in den einzelnen Disziplinen erhöht. Der moderne Reitsport bildet nur mehr 50 Prozent der Reitausbildung in der Kavallerie ab. Reitausbildung um 1900 umfasste Dressur, Springen, Geländeritte, Ausdauerritte, Steeplechase, Jagdreiten, Marschausbildung, Reiten in kleinen und großen Formationen, Einhändiges Reiten, Waffenübungen mit Lanze, Degen und Schusswaffen. Ein Beispiel aus der Dressur: „Arbeitstrab“ war früher das Tempo, in dem Pferd und Reiter eine Stunde marschieren konnten. Es ist leicht nachvollziehbar, dass die „Arbeitstrab“-Vorstellungen im heutigen Dressursport kaum mehr etwas mit der ursprünglichen Intention zu tun haben. Ein Beispiel aus dem Springen: Parcours vor 100 Jahren waren der Natur möglichst nachempfunden, d. h. der Reiter sollte das üben, was er im Gelände gebrauchen kann, etwa Einzelsprünge und lange Galoppaden. Der Parcours des Deutschen Derbys in Hamburg vermittelt hiervon noch einen Eindruck. Heutige Parcours sind „technisch“, um möglichst schnelle Selektion im Teilnehmerfeld zu erreichen. Es gibt noch einen wesentlichen Unterschied: Weil Pferde vor 100 Jahren noch teurer waren als heute, war die Kavallerieausbildung darauf ausgerichtet, hohe Leistungsfähigkeit bei langer Leistungserhaltung zu garantieren. Deshalb der extrem sorgsame und systematische Aufbau der jungen Pferde. Das ist heute aufgrund des kommerziellen Drucks, der auf Züchter wie Reitprofis lastet, häufig anders und beeinflusst die Reitverwendungsdauer der Pferde.

FEINE HILFEN: Welche Unterschiede bestehen zwischen den Arbeitsreitweisen und der Kavalleriereiterei – beides gehört ja zur Gebrauchsreiterei.

Peter Lachenmayer: Zunächst muss festgestellt werden, dass es in Mitteleuropa keine andere Gebrauchsreiterei gab als die Kavallerie (punktuelle Ausnahmen bestätigen die Regel). Grundsätzlich gibt es viele Gemeinsamkeiten zwischen Arbeitsreitweisen und der kavalleristischen Reiterei, da beide ähnliche Gebrauchsprofile haben: Einhändiges Reiten, Notwendigkeit von engen Wendungen und Galoppwechseln, stundenlanges Reiten, tagelanges Reiten, wochenlanges Reiten. Im 16. und 17. Jahrhundert waren die Gemeinsamkeiten noch größer, weil derselbe Pferdetyp zum Einsatz kam. Das änderte sich im 18. Jahrhundert durch die Remontierung der Kavallerie mit der damaligen Holsteiner Zucht und den ukrainischen Wildlingen, verstärkt dann ab 1850 durch die Züchtung des modernen Warmbluts.

FEINE HILFEN: Was sind die Aufgaben des Kavalleristen? Was muss das Pferd können? Gibt es bestimmte Voraussetzungen?

Peter Lachenmayer: Um 1900 bestanden die Aufgaben des Kavalleristen im Felddienst darin, Angriffe in geschlossener Formation (Attacke) durchzuführen, Einzelgefechte mit Lanze und Degen, abgesessenes Gefecht mit Karabiner, Überwinden von Hindernissen und Gewässern, Aufklärung, Sicherung, Märsche und Biwak. Im Pferde- und Garnisonsdienst ging es um Pferdepflege, Pferdeausbildung (erfahrene Reiter ritten die Remonten, die Rekruten ritten auf den fertig ausgebildeten, erfahrenen Pferden) und um die Pflege von Reitausrüstung und persönlicher Ausrüstung. Junge Pferde wurden mit drei Jahren angekauft und kamen erst einmal ins Remontendepot zur Sicherstellung einer hochwertigen Aufzucht im dritten Jahr. Mit vier Jahren begann dann die Ausbildung (Junge Remonte: Takt, Losgelassenheit, Gebrauchshaltung, Springen bis 50 cm, Gräben bis 150 cm,Geländereiten, Klettern, Gewöhnung an die Kandare ab neun Monaten, erstes Schenkelweichen). Mit fünf Jahren (Alte Remonte) wurden Tempowechsel, Seitengänge in allen Gangarten, Springen bis 100 cm, Gräben bis 300 cm, Geländereiten und das Klettern erarbeitet. Mit dem sechsten Jahr erfolgte dann die Einstellung in die Eskadron. Das Pferd war nun Truppenpferd und seine Ausbildung wurde nun vervollständigt (Springen bis 110 cm, Galoppwechsel). Die Anforderungen des Militärs bestimmten bis zum Zweiten Weltkrieg wesentlich die Pferdezucht in Zentral- und Osteuropa. Die Mitte des 19. Jahrhunderts brachte mit der Schaffung des modernen Warmblüters eine Zuchtrevolution. Treiber waren auch hier das Militär und die sich ändernden Bedingungen auf dem Gefechtsfeld. Moderne Gewehre und Artillerie schossen präziser, schneller und weiter. Deshalb mussten Attacken, die möglichst schnell den gefährlichen Feuerbereich durchreiten sollten, schneller und länger als vorher geritten werden. Zudem wurde die Kavallerie vermehrt in der Aufklärung, Sicherung und Verschleierung eingesetzt. Die Anforderungen an das Pferdematerial stiegen. Sie mussten schneller, ausdauernder, geländegängiger und springfähiger sein als zuvor. Das erreichte man durch die Einzüchtung von Vollblut und die Schaffung des modernen Warmblüters. Als „Kavallerist“ von heute ist man vielfach experimenteller Geschichtsforscher, da viel Praxiswissen verloren gegangen ist und es kaum noch jemanden gibt, der einem dieses beibringen kann. Deshalb beschäftigen wir uns mit der gesamten Bandbreite des kavalleristischen Reitens, natürlich mit Abstrichen, da der zeitliche Aufwand von früher für Amateure heute nicht annähernd erbracht werden kann. Wir führen eigene Turniere wie vor 100 Jahren durch mit den Anforderungen der damaligen Zeit, organisieren Reitjagden, Geländeritte, Märsche, Biwakübungen, üben Attacken und Patrouillenreiten. Das Ziel ist, ein möglichst umfassendes Bild der Kavallerieausbildung der damaligen Zeit zu bekommen, um Zusammenhänge zu verstehen und Lücken in der Literatur erklären zu können. Außerdem macht das vielseitige Reiten in der Gemeinschaft ungemein Spaß. Anders als bei der Originalkavallerie vor 100 Jahren kommen bei uns nicht nur Warmblüter sondern auch Spanier, Murgesen und Lusitanos zum Einsatz. Das passt einerseits dazu, dass wir in vielen Jahrhunderten unterwegs sind und viele unsere Mitglieder ursprünglich aus der iberischen Reiterei kommen.

FEINE HILFEN: Wie ist die Geschlechterverteilung in Ihrem Verein? Ist das Kavalleriereiten etwas, das eher Männer anspricht, oder gibt es auch einen großen Frauenanteil?

Peter Lachenmayer: Anders als in normalen Reitvereinen besteht das Gros unserer aktiven Mitglieder aus Männern. In letzter Zeit sehen wir aber einen Anstieg der weiblichen Aktiven. Im Prinzip ist durch die hohe Vielseitigkeit für viele Geschmäcker was dabei.

FEINE HILFEN: Wenn bei Ihnen von Pistolen die Rede ist und von Schussfestigkeit der Pferde, nutzen Sie da Platzpatronen oder scharfe Munition?

Peter Lachenmayer: Wir nutzen nur Platzpatronen.

FEINE HILFEN: Nach welchen Richtlinien arbeiten Sie? Ist die H.Dv.12 Ihr Regelwerk, oder beziehen Sie sich auf noch ältere Schriften?

Peter Lachenmayer: Praktisch arbeiten wir nach der H.Dv.12 (und zwar nach der Version von 1912). Schon die benötigt einen hohen Forschungsaufwand. Die Ausbildung nach älteren Versionen würde aktuell unsere Kräfte übersteigen. Teilweise wäre dies auch nicht sinnvoll, da z. B. die erste preußische Reitvorschrift von 1825 speziell auf die wilden ukrainischen Remonten ausgerichtet war, einen Pferdetypus, der heutzutage kaum zu beschaffen ist.

FEINE HILFEN: Die H.Dv.12 ist ja ein Werk, das darauf abzielte, eine einheitliche Ausbildung für Pferd und Kavalleristen zu bieten, die systematisch und auch für neuere Rekruten leicht umsetzbar war, Pferde und Reiter auf Manöver im Krieg vorbereitete, dabei aber auch Genauigkeit von Ausbildern und Reitern verlangte, Rittigkeit der Pferde, bequeme Gänge, punktgenaue Reaktionen und die Langlebigkeit sowie Gesundheit und dadurch lange Nutzbarkeit des Pferdes als Ziel hatte. Der letzte Teil davon – Langlebigkeit, Gesundheit des Pferdes, Präzision – bildet eine Schnittmenge mit der zuvor praktizierten Reitkunst. Wo wurden Ihrer Ansicht nach im Vergleich zu dem, was wir unter Reitkunst verstehen, damals für die Kavallerie in Deutschland Abstriche in der Ausbildung gemacht?

Peter Lachenmayer: An den Militärreitschulen war die Reitkunst immer Teil der Ausbildung. Dazu hielten die Reitschulen immer einen Stamm an vorzüglich ausgebildeten Schulpferden. An die Militärreitschulen wurden immer besonders befähigte junge Offiziere in der Regel für zwei Jahre kommandiert, die dann dort als Reitlehrer und Multiplikatoren für die einheitliche und qualitativ hochwertige Truppenausbildung ausgebildet wurden. Sie erlernten dort die Lektionen der Reitkunst. Besonders Gute (z. B. Felix Bürkner) wurden sogar an die Wiener Hofreitschule abkommandiert. Der Grund für das Lehren der Reitkunst war, zeitloses Basiswissen zu erhalten, das immer wieder für die kavalleristische Reitausbildung erschlossen werden konnte. Für die eigentliche Truppenausbildung wurden die Reitvorschriften entwickelt. Diese sollten kurz, prägnant, zweckmäßig und möglichst einfach sein, denn nur das Einfache ist in der Feldverwendung robust und effektiv. Die Reitvorschrift von 1883 war trotzdem sehr umfangreich und verwendete in den zwei Bänden viele Lektionen der Reitkunst. Da sich das als nicht praktikabel herausstellte, wurde die berühmte Reitvorschrift von 1912 geschaffen (identisch mit der späteren H.Dv.12). Diese war nun auf das Wesentliche der damaligen militärischen Anforderungen reduziert, beinhaltete jedoch immer noch Lektionen auf M- und S-Niveau, aber ohne Piaffe oder Passage. 1926 wurde diese Reitvorschrift unter dem Namen H.Dv.12 identisch neu aufgelegt, jedoch mit einem zusätzlichen Kapitel zur Reitkunst, das nicht für die Truppenausbildung gedacht war, sondern sich an die Offiziere und Reitlehrer wandte und das Ausbildungswissen der Militärreitschulen bezüglich der Reitkunst in die Vorschrift aufnahm. Als dann aufgrund geänderter militärischer Einsatzgrundsätze die Kavallerie zur reitenden Infanterie wurde, schuf man die nun wieder stark vereinfachte H.Dv.12 von 1937. Schwerpunkt wurde dabei auf leichtes, entlastendes Reiten und die Bewältigung großer Marsch- leistungen gelegt. Diese bildete dann die Grundlage der „Richtlinien für Reiten und Fahren“ der FN.

FEINE HILFEN: Inwieweit unterscheidet sich die Ausrüstung des Kavalleristen von der des Reiters, der Reitkunst betreibt? Was braucht der Kavallerist? Wie war solch ein Pferd ausgerüstet? Wie unterscheidet sich zum Beispiel der Sattel? Was wurde da für die Kavallerie verändert und warum? Welche Gebisse/Zäumungen wurden verwendet, und welchen Sinn machte das?

Peter Lachenmayer: Der wesentliche Unterschied bei der Reitausrüstung ist, dass sie beim Kavalleristen für den beanspruchenden Felddienst und das Reiten mit Ausrüstung und Waffen ausgelegt sein muss. Das heißt, das Kavalleriepferd und der Kavallerist mussten alle Ausrüstung, die für einen Feldzug von mehreren Wochen notwendig war, mitführen können. Das umfasste folgende Elemente: – Modulares Zaumzeug, welches sich einfach und mit wenigen Handgriffen vom Kandarenzaum bis zum reinen Halfter mit Anbinderiemen oder Trensenzaum umschnallen lässt. Dabei muss das Zaumzeug robust und feldtauglich sein. – Militärsättel müssen für das Tragen der Ausrüstung (Packtaschen, Mantel, Hafersack, Kochgeschirr etc.) mit entsprechenden Aufhängungen ausgestattet sein und dabei eine möglichst große Auflagefläche zur Vermeidung von Satteldruck beim Pferd ausweisen. Muss das Pferd doch inklusive Reiter und voller Ausrüstung und Waffen etwa 120 Kilogramm tragen. Der 1880 eingeführte Deutsche Militärsattel ist eine Kreuzung aus englischem Pritschensattel und ungarischem Bocksattel. Für das Pferd bequem, bietet er dem Reiter einen anatomisch geformten, aber harten Sitz (um ihn zum pferdefreundlichen, geschmeidigen Sitz zu zwingen). Ab dem 19. Jahrhundert haben Militärsättel keine Pauschen, um den geschmeidigen Sitz des Reiters nicht zu beeinträchtigen und bei langen Märschen Druck beim Pferd entgegenzuwirken. – Als Satteldecke kommt eine mehrfach gefaltete Wolldecke (Woilach) zum Einsatz. Die mehrfache Faltung verhindert Reibungen am Pferderücken. Der Woilach kann ausgebreitet schnell getrocknet werden und dient als Pferdedecke. – In der Packung wird alles mitgeführt, was als minimale persönliche Ausrüstung von Pferd und Reiter gilt: Putzzeug für das Pferd, Deckengurt, Waschzeug, Wechselunterwäsche, Socken, Halbschuhe, Waffenreinigungzeug, Kochgeschirr, eiserne Ration, Haferration, Mantel, Zeltbahn. Fehler beim Satteln und inkorrektes Anbringen der Packung rächen sich schon nach zehn Kilometern Marsch durch Druckstellen beim Pferd. Deshalb wird hier sehr viel Sorgfalt angewandt. Bezüglich der Gebisse lässt sich sagen, dass die deutsche Kavallerie im 18. Jahrhundert auf Pelham mit vier Zügeln ritt. Ausgehend von der Reitschule in Versailles, wurde dann in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts auf Kandarenzäumung mit Unterlegtrense umgestellt. Das hatte Vor- und Nachteile. Vorteil war die differenziertere Hilfengebung. Nachteil war ganz klar, dass Pferde mit kleinen Mäulern das viele Eisen kaum unterbringen konnten. Solange einhändiges Reiten notwendig war, blieb man bei der Kandarenzäumung. Erst während des Zweiten Weltkriegs wurde dann auf Trense umgestellt. Man hatte nun ja nur mehr berittene Infanterie, die das Pferd als reines Transportmittel verwendete. Ursprünglich wurde beim Kandarenzaum ein Kandarengebiss mit geraden Bäumen verwendet. Das Greifen der Bäume durch die Pferde mit den Zähnen und damit das Aufheben der Wirkung der Kandare verhinderte man durch das Anbringen des Scherriemens. Da dies aufwendig war, wurde bis zum Ersten Weltkrieg die S-Kandare eingeführt, bei der die Pferde den Baum allein durch die Form nicht greifen konnten (wobei es immer ein paar Spezialisten gibt, die das schaffen).

FEINE HILFEN: Wie sieht die Ausrüstung des Reiters aus? Wie kommt es, dass man bei Veranstaltungen Ihres Vereins so viele verschiedene Uniformen sieht?

Peter Lachenmayer: Die Ausrüstung und Uniformierung bei der historischen Kavallerie ist sehr bunt. Deutschland hatte 1914 110 Kavallerieregimenter, und jedes dieser Regimenter hatte eine eigene Uniform. Es gab keine zwei, die gleich waren. Man unterscheidet 1900 bei der Kavallerie folgende Gattungen: Dragoner, Kürassiere, Husaren, Ulanen, Chevaulegers, Reiter und Jäger zu Pferde. Die Uniformierung der Husaren entspricht ungarischem Vorbild, die der Ulanen polnischem Vorbild. Als Kopfbedeckungen wurden Metallhelme, Lederhelme, Pelzmützen, Tschakos und Filzmützen getragen. Die Uniformierung der Kavallerie ist eine Wissenschaft für sich und füllt Bücher. 1900 war die Bewaffnung schon vereinheitlicht: Degen, Lanze und Karabiner. Vorher hatten nur die Ulanen Lanzen, die Husaren und Chevaulegers Säbel und die Kürassiere und Dragoner Degen. Der Kavallerieverband ist kein Traditionsverein im eigentlichen Sinne, denn der Schwerpunkt liegt im sportlich kavalleristischen Reiten. Wir machen keine Gedenkveranstaltungen. Außerdem machen wir unseren Mitgliedern keine Vorschriften bezüglich des Regiments, das sie darstellen wollen. Auch der Dienstgrad ist frei wählbar. Wichtig ist nur, dass die Ausrüstung korrekt ist. Dadurch ergibt sich bei unseren Turnieren oder unseren Jagden ein authentisches buntes Bild mit sehr vielen unterschiedlichen Uniformen. Das war aber auch vor 100 Jahren so.

FEINE HILFEN: Häufig wird ja als Grund für den Sperrriemen angegeben, dass das ein Relikt aus dem Kavalleriereiten sei. Stimmt das überhaupt?

Peter Lachenmayer: Die Geschichte mit dem Sperrriemen ist völliger Unsinn. So etwas hat es bei keiner europäischen Kavallerie gegeben. Die Geschichte wurde von irgendjemandem einmal dilettantisch ohne Quellennachweis ins Internet gestellt und hält sich dort, weil halt viel kopiert wird.

FEINE HILFEN: Wie viel Reitkunst steckt in der H.Dv.12? Wie hat man die Pferde mit Gepäck, Reiter und Waffen in Balance gebracht? Wie viel Versammlungsfähigkeit war da vonnöten? Wie ließ sich das vereinbaren mit der Notwendigkeit, neue Rekruten relativ schnell einzuarbeiten? Ab wann durften Rekruten eigenständig arbeiten? Wie lange wurden sie geschult in Sitz und Umgang?

Peter Lachenmayer: Wie schon ausgeführt, ist das zweigespalten. Die Ausbilder wurden in der Reitkunst geschult, die Truppe jedoch nur in den Lektionen, die für die Gebrauchsreiterei notwendig waren. Man unterscheidet in der H.Dv.12 die Gebrauchs- und die Dressurhaltung. Die Gebrauchshaltung lässt dem Pferd freiere Kopfhaltung, wobei es keine Normierung gibt, sondern es die Haltung ist, mit dem das individuelle Pferd ohne Verschleiß längere Zeit „arbeiten“ kann. Hauptaugenmerk ist der ungezwungen schwingende Rücken. Die Gebrauchshaltung war die Norm im Dienst: Parade, Felddienst, Märsche etc. Die Dressurhaltung war in relativer Aufrichtung und diente in der Bahnarbeit rein zur Dressurausbildung und Entwicklung der Muskulatur. Sie wurde nur kurzzeitig in der Arbeitsphase der Dressur abverlangt. Bezüglich der Frage nach der Versammlung: Nach der Remonteausbildung mussten die Pferde auch in Gebrauchshaltung in versammelten Gängen gehen können. Das war schon deshalb eine praktische Anforderung, um Marschkolonnen, die mehrere 100 Pferde umfassten, geschlossen zusammenhalten zu können. Ziehharmonikaeffekte sind nämlich für Pferd und Reiter ermüdend und reduzieren die Marschleistung. Rekruten in der Kavallerie hatten eine dreijährige Dienstzeit. In der Regel wurde darauf geachtet, dass die Rekruten aus dem bäuerlichen Umfeld kamen, da sie den Umgang mit Tieren und schwere körperliche Arbeit schon gewohnt waren. Per se konnte damals vor der Dienstzeit kaum einer reiten. Die reiterliche Grundausbildung der Rekruten dauerte etwa ein Jahr und begann mit dem Reiten auf Trense ohne Bügel. In der Regel waren das alles kleine drahtige Gestalten, die über diese Methode – natürlich auf die harte Tour – sehr schnell den ausbalancierten Sitz lernten. Dann erfolgte die Reitgrundausbildung auf gut ausgebildeten Pferden, die nach einem Jahr mit einer Besichtigung endete. Aber die Reitausbildung hörte über die ganzen drei Jahre nie auf. Der Reitbetrieb war in verschiedene Reitabteilungen nach Leistungsstand eingeteilt, die von erfahrenen Unteroffizieren oder Offizieren als Reitlehrern geführt wurden. Die besten Reiter hatten Aufgaben in der Remonteausbildung. Den Tagesablauf eines Kavalleristen kann man vereinfacht so zusammenfassen: reiten, reiten, reiten, putzen, putzen, putzen.

FEINE HILFEN: Wie individuell konnte auf Pferde und ihr Exterieur/Interieur eingegangen werden? War das überhaupt Ziel der H.Dv.12? Wie sieht das heute aus? Gibt es das ideale Kavalleriepferd, und wenn ja, wie sollte das sein?

Peter Lachenmayer: Die militärische Reitvorschrift definierte primär den Zweck und erst dann die Form. Es gab explizit keine Normhaltung, es musste individuell auf das Pferd eingegangen werden, um seine Fähigkeiten optimal nutzen zu können. Dazu waren dem Staat die Pferde zu teuer. Natürlich hatte das Militär als Hauptabnehmer der deutschen Zuchten wesentlichen Anteil in der Entwicklung der deutschen Pferderassen. Der Warmblüter entstand ab 1850 einzig aus den geänderten Anforderungen des Militärs. Wichtig damals waren ein guter Widerrist, ein guter Rücken und der Rechtecktypus, der für das Vermeiden von Druckstellen beim Reiten mit Ausrüstung und großer Marschleistung wichtig war. Die Entwicklung der deutschen Warmblutrassen ist dabei in den letzten 100 Jahren interessant. Bis zum Ersten Weltkrieg herrschte ein hoch im Blut stehender Warmbluttyp mit Rechteckexterieur vor. Nach dem Ersten Weltkrieg fiel die Kavallerie als Hauptabnehmer der Zuchten weitgehend weg, und die Zucht veränderte sich in kalibrigere Pferde, die sowohl als Reit- als auch Fahrpferde (auch in der Landwirtschaft) eingesetzt werden konnten. Bis 1960 fiel dann auch die Landwirtschaft als Abnehmer weg, und es blieb allein der Reitsport. Dies führte wiederum zu einer Änderung der Zucht, die sich zunächst wieder auf die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg mit leichteren, blütigeren Pferden zurück- besann. Die weitere Spezialisierung im Reitsport bedingte dann aber ab 1990 eine weitere Veränderung in Richtung leichttrittiger Pferde mit aufgesetzten Hälsen und im Quadrattyp, denen spektakuläre Gangaktionen entlockt werden konnten. Die letztere Entwicklung produziert Pferde, die nicht unbedingt für das vielseitige kavalleristische Reiten geeignet sind, zumal sie charakterlich oft schwierig sind. Die Polizeistaffeln in Deutschland können von der in den letzten beiden Jahrzehnten verstärkt schwierigen Remontierung ein Lied singen. Für das, was wir machen, verwenden wir aus praktischen Gründen nicht nur Warmblüter, sondern auch iberische Rassen. Das geht durchaus. Jede Rasse hat in den verschiedenen Disziplinen ihre Stärken und Schwächen. Bei Warmblütern achten wir auf das klassische Kavallerieprofil von vor 100 Jahren. Man muss nur etwas länger suchen, dann findet man es immer noch. Und so viele Pferde brauchen wir ja auch nicht.

FEINE HILFEN: Natürlich wurde Reiterei immer – bereits bei Xenophon war das der Fall – durchs Militär und durch Kriegsführung geprägt. Heute müsste man sich aber nicht mehr unbedingt beim Reiten mit Säbeln oder Pistolen befassen, und manche Uniform weckt ja auch eher negative Empfindungen im Hinblick auf unsere Geschichte. Wie sehen Sie das? Was ist der hauptsächliche Antrieb dahinter, diese Epoche und vor allem diesen Gebrauch des Reitens nachzustellen?

Peter Lachenmayer: Wir haben tatsächlich drei Typen von aktiven Mitgliedern – da sind zum einen die Historiker, die reiten. Sie betreiben experimentelle Geschichtsforschung, um durch praktische Anwendung Fragen beantworten zu können, die sich nicht aus den Primärquellen erschließen. Dann gibt es die Reiter, die sich für Geschichte interessieren. Sie wollen einfach praktisch ausprobieren und erfahren, wie das früher war. Und dann sind da noch Reiter, die sich nicht für Geschichte interessieren. Die sind in der Regel vom heutigen Reitsport gelangweilt und haben Spaß an vielseitiger Reiterei. Teilweise kommen sie auch aus dem Westernbereich oder der iberischen Reiterei. Sie finden bei uns noch mehr Abenteuer und interessante Veranstaltungen. Als ich mit dem Thema Kavallerieverband vor etwas mehr als zehn Jahren angefangen habe, hätte ich nicht zu träumen gewagt, was wir alles erleben würden. Wir sind mit der Garde républicaine in Frankreich geritten, mit den Engländern in Flandern, mit der Schweizer Kavallerie in Bern, mit den ungarischen Husaren in Babolna, mit den polnischen Ulanen in Krakau und Posen, haben am Bug am Lagerfeuer gesessen, waren mit der niederländischen Begleitschwadron des Königs auf Reitjagd in Holland und vieles mehr. Wir haben viele interna- tionale Verbindungen aufgebaut, haben viele interessante Menschen kennengelernt und wahrscheinlich mehr für die Völkerverständigung erreicht als viele aufgesetzte, offizielle staatliche Veranstaltungen. Anders als bei normalen Reitturnieren, bei denen man meist nur ernste Gesichter sieht, haben alle Teilnehmer bei unseren Turnieren, obwohl körperlich sehr fordernd, sichtlich Spaß, auch wenn sie nicht gewinnen. Das Gemeinschaftsgefühl ist sehr groß. Was wir machen, machen wir eigentlich primär für uns. Dennoch sind wir sehr überrascht, wie viele Zuschauer zu unseren Veranstaltungen kommen, obwohl wir diese nicht offensiv bewerben. Wenn wir den einen oder anderen dazu bringen, wieder einmal ein Geschichtsbuch in die Hand zu nehmen, ist das sicherlich ein positiver Nebeneffekt. Nun ja, und dann ist das Thema Kavallerie um 1900 auch ein Alleinstellungsmerkmal. Mit Westernreiten oder iberischen Arbeitsreitweisen beschäftigen sich heute Zehntausende. Ernsthaftes kavalleristisches Reiten machen nur wir in Deutschland. Das macht einen besonderen Reiz aus. Der Historiker findet ein Betätigungsfeld, das noch nicht abgegrast ist, und schnell erwacht der detektivische Jagdinstinkt, denn es ist nicht einfach, all die verschütteten Details wieder auszugraben und sie wie Puzzlesteine zusammenzusetzen. Grundsätzlich beschäftigen wir uns mit den Epochen zurück bis 1550. Ich selbst habe auch die Ausrüstung eines bayerischen Ulanen von 1813. Wenn man allerdings tiefer in das Thema einsteigt, kommt man zwangsläufig auf die Epoche kurz vor dem Ersten Weltkrieg, weil dort das leistungsorientierte Reiten am vielseitigsten und interessantesten war. Aber letztendlich ist es und wird es eine kleine Nische bleiben. Unsere zeitlose Mission dabei ist, verschütt gegangenes Praxiswissen wieder erfahrbar und verständlich zu machen.

FEINE HILFEN: Vielen Dank für das Gespräch.

Peter Lachenmayer

…(*1965-✝︎2022) war erster Vorsitzender des Deutschen Kavallerieverbands e. V.  2012 wurde er Mannschaftsweltmeister der Kavallerie, 2014 holte er mit seinem Holsteiner Lagarde sogar den Titel des deutschen Meisters in der Einzelwertung. 2021 wurde Peter Lachenmayer – diesmal mit seinem Pferd Rococo – erneut Deutscher Meister. Die deutschen Meisterschaften der Kavallerie finden jährlich in Thüringen statt und konnten auch unter den erschwerten Pandemie-Bedingungen 2021 durchgeführt werden.

Weitere Infos (Foto: Ross Foto Dana Krimmling)
 
 

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Category: Aktuelle Themen

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