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Lampenfieber vor der Fahrt im Hänger

Eine Leseprobe aus „Feine Hilfen“ Ausgabe 2:

Pferde wurden vor etwa 5000 Jahren domestiziert. Seitdem wurde durch züchterische Selektion aus dem Wildpferd ein in Exterieur und Gangmechanik auf die Bedürfnisse des Menschen angepasstes Reit- und Sportpferd. Obwohl natürlich auch eine Selektion auf Interieurwerte wie Temperament und Umgänglichkeit erfolgte, haben die heutigen Hauspferde mit ihren wilden Ahnen bezüglich ihres Verhaltens und ihrer Bedürfnisse noch viele Gemeinsam-keiten. Das Pferd ist ein Fluchttier, das auf Gefahr mit sofortigem Weglaufen reagiert.

Nur so konnte es sich in der Steppe vor Fressfeinden retten und sein Überleben sichern. In der Entwicklung seiner Sinnesorgane ist auch das domestizierte Hauspferd im Hinblick auf die Erkennung von Gefahrensituationen optimal aufgestellt. Seitlich am Kopf positionierte Augen geben ihm ein sehr großes Gesichtsfeld, das die Erkennung visueller Reize fast im gesamten Umfeld ermöglicht, ohne dass das Pferd den Kopf wenden muss. Die Ohren sind überaus beweglich und können fast um 300 Grad gedreht werden, sodass akustische Reize leicht verfolgt werden können. Der Mensch ist im Hinblick auf diese Sinnesorgane deutlich weniger sensibel ausgestattet.

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Fluchtverhalten ist auch bei unseren Reit- und Sportpferden genetisch verankert.
Foto: Abramova Kseniya /www.shutterstock.com

Das Pferd ist immer fluchtbereit

Ein ausgeprägtes Fluchtverhalten ist auch bei unseren Reit- und Sportpferden genetisch verankert. Im Umgang mit dem Menschen und während der Nutzung im Renn-, Reit- und Fahrsport werden Pferde einer Vielzahl von Situationen ausgesetzt, die in freier Wildbahn entweder nicht vorkommen oder für die Tiere potenzielle Gefahr bedeuten. Dies betrifft zum Beispiel den Aufenthalt in geschlossenen, oft kleinen Räumen wie  Box oder Pferdetransporter, wo sich unter natürlichen Gegebenheiten allenfalls ein Fressfeind aufhalten würde, aber auch das Dulden von Sattel und Reiter auf dem Rücken. Denn diese Situation hat Ähnlichkeit mit dem Angriff eines Fressfeindes.

Daher muss man davon ausgehen, dass die Nutzung des Pferdes durch den Menschen grundsätzlich eine emotionale Belastung bedeutet, die beim Pferd Angst- beziehungsweise Stressreaktionen hervorrufen kann.

Akuter Stress führt im betroffenen Organismus zunächst zur Stimulation der Leistung verschiedenster Organsysteme. In einer Alarmreaktion wird dem Körper durch Stimulierung des Herz-Kreislauf-Systems sowie die Bereitstellung kurzzeitig verfügbarer Energie eine möglichst umgehende Reaktion auf die Stresssituation ermöglicht – beim Pferd ist das fast stets die sofortige Flucht. Diese Körperreaktion wird durch die Erregung des sogenannten sympathischen Nervensystems, die mit einer Erhöhung der Atem- und Herzfrequenz einhergeht, sowie die Freisetzung des Stresshormons Cortisol aus der Nebennierenrinde ermöglicht und unterstützt. Soll Stress objektiv gemessen werden, kann man sich aufgrund dieser Mechanismen durch Bestimmung der Herzfrequenz und der Cortisolsekretion behelfen.

Die Herzfrequenz kann am einfachsten und effizientesten über ein in einen speziellen Brustgurt eingebautes Messsystem (Polar equine) kontinuierlich gemessen und mithilfe einer am Pferd befestigten Uhr gespeichert werden. Messungen des Stresshormons Cortisol erfolgen in Speichelproben, die vom Pferd leicht und ohne nennenswerte Fixation mithilfe von speziellen Saugschwämmchen (Salivetten) genommen werden können. Zu einer Erhöhung der Herzfrequenz und der Cortisolfreisetzung kommt es zwar bereits allein durch körperliche Anstrengung, durch entsprechende Vergleiche lassen sich aber nicht nur Aussagen darüber machen, ob eine bestimmte Situation für ein Pferd eine Belastung (Stress) bedeutet, sondern der Grad der Erhöhung der Herzfrequenz und der Cortisolfreisetzung lässt auch Interpretationen über das Ausmaß dieser Belastung zu.

Belastung bei Pferdetransporten

Grundsätzlich sind Transporte für Pferde deutlich belastender als das Reiten. Dies gilt auch, wenn die Transporte vorsichtig und im komfortablen Lkw durchgeführt werden und regelmäßig Pausen eingelegt werden. Bereits bei Kurzstreckentransporten von unerfahrenen Pferden erreichten die Cortisolkonzentrationen im Speichel Werte, die etwa um das Vierfache über denen liegen, die während oder kurz nach dem Reiten gemessen werden. Bei wiederholten Transporten, ohne dass Zwischenfälle auftreten, erfolgt jedoch eine Gewöhnung der Pferde.

Bei transporterfahrenen Pferden nahm die Cortisolfreisetzung schon zu, wenn sie auf die Transporte vorbereitet wurden, das heißt Transportgamaschen angelegt und die Lkw bereitgestellt wurden. Die Tiere wussten offensichtlich durch die Vorbereitung bereits, was sie erwartet. Auch bei Pferden gibt es also Lampenfieber. Nach der Abfahrt kam es dann zu einer weiteren Zunahme der Cortisolfreisetzung. In unserer Studie wurden die Pferde auf einem Transport über 1400 km kontrolliert, der über zwei Tage dauerte. In der dazwischenliegenden Nacht wurden die Pferde in einem für sie unbekannten Stall untergebracht. Trotzdem kehrten alle gemessenen Parameter während dieser Pause wieder weitgehend in den Normalbereich zurück. Bei Langzeittransporten ist es also schonender für die Pferde, die Fahrt auf mehrere Tage aufzuteilen, auch wenn die Tiere dann nachts in einem fremden Stall untergebracht sind und die Fahrt gleich am nächsten Tag fortgesetzt wird. Zur Gewöhnung der Pferde kann es eventuell auch sinnvoll sein, am ersten Tag nur eine kürzere Etappe zu fahren.

 

Autorin:  Prof. Christine Aurich. Wie gestresst Pferde und Reiter während des Trainings oder auf dem Turnier sind, lesen Sie in der aktuellen Ausgabe.

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Category: Aktuelle Themen

Comments (1)

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  1. Interessant! Da ich mich bis dato nur mit dem Lampenfieber von uns, dem Menschen, beschäftigt habe, wusste ich garnicht, dass Pferde auch Lampenfieber haben können. Als ich den Artikel gelesen habe, dachte ich, dass Pferde meistens nur von langen Transporten gestresst werden – anscheind ja nicht.

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