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„Das erste Jahr ist die Voraussetzung für alles andere“

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Desmond O´Brien. (Foto: Neddens Tierfotografie)

 

Lesprobe aus der aktuellen FEINE HILFEN-Ausgabe 16 (Schwerpunktthema „Was ist Grundausbildung?“:

 

Was das Pferd im ersten Ausbildungsjahr lernen sollte und wie die Grundausbildung von Pferd und Reiter an der Spanischen Hofreitschule in Wien aussieht, erklärt Desmond O´Brien im Interview.

 

Feine Hilfen: Herr O´Brien, wenn ein Pferd als „A-fertig“ verkauft wird, kann ich dann davon ausgehen, dass es eine gute Grundausbildung genossen hat?
Desmond O´Brien: Nicht unbedingt! Viele Pferde werden einer Ausbildung unterzogen, die nur einige wenige Monate dauert – zu kurz, um reell zu sein. Das Hauptaugenmerk wird bei diesen Kurzausbildungen auf die äußere Haltung gelegt. Ein schön gewölbter Hals, Beine, die sich engagiert bewegen – das reicht sehr vielen Kaufinteressierten (und auch Richtern) meist schon. Es wird keine Rücksicht darauf genommen, ob das junge Pferd wirklich vorwärts-abwärts geht, sich dabei vertrauensvoll an das Gebiss herandehnt oder nur mit dem Gebiss beigezäumt wird, ob es über den Rücken geht oder nur die Beine möglichst spektakulär hebt.
Diese Kurzausbildung wirft die Pferde und deren Besitzer weit zurück, sie beeinträchtigt die Gesundheit und die Leistungsfähigkeit des Pferdes und verkürzt dessen Lebensdauer.

 

Feine Hilfen: Wie lange dauert es im Schnitt, bis ein Reitpferd eine gute Grundausbildung unter dem Sattel hat? Das ist in den üblichen drei Monaten Beritt also nicht zu leisten, wenn ich Sie richtig verstehe?
O´Brien: Meiner Meinung nach nicht. Einer soliden Grundausbildung wird normalerweise ein ganzes Jahr eingeräumt. Auch wenn unsere Zeit eine schnelllebige geworden ist, so betrifft das die Pferde auf keinen Fall. Auch wenn sich die Zucht verbessert hat, brauchen Knochen, Muskeln, Sehnen und vor allem das Gehirn Zeit, um sich der gestellten Anforderung zu stellen und diese schadlos zu erfüllen.

 

Feine Hilfen: Wenn ein S-Pferd nicht in den Hänger geht und beim Führen den Menschen umrennt, hat es dann eine schlechte Grundausbildung?
O´Brien: Das kann man so nicht sagen. Viel wahrscheinlicher ist es, dass dieses Pferd schlechte Erfahrung gesammelt hat, sei es beim Verladen selbst, beim Hängerfahren oder am Turnier. Das kann mit der Reitweise zusammenhängen, aber auch mit der Atmosphäre am Turnier, die sehr stressgeladen sein kann. Vielleicht ist das Pferd sonst verladefromm, aber der Besitzer macht einige Fehler: Er schaut aufs Pferd, zieht am Strick, strahlt Stress aus. Oft ist es doch so, dass nach einer Stunde erfolglosem Verladeversuch plötzlich jemand kommt, das Pferd ruhig, aber bestimmt nimmt und problemlos auf den Hänger führt. Verladeschwierigkeiten sind oft ein Zeichen für die schlechte Grundausbildung des Besitzers …

 

Feine Hilfen: Was gehört an der Spanischen Hofreitschule in Wien zur Grundausbildung des Pferdes? Wie läuft sie Ihrer Erfahrung nach ab?
O´Brien: Zur Grundausbildung gehört einerseits der Umgang im Stall: Anbinden, Putzen, Hufe-Ausräumen, Satteln, Zäumen, Führen sowie das ruhige Absolvieren des Hufschmiedtermins, andererseits die Ausbildung an der Longe und unter dem Sattel. Die jungen Hengste sollten nach einem Jahr in den Grundgangarten Schritt, Trab und Galopp auf jeder geraden sowie gebogenen Linie in sich geradegerichtet sein, taktrein, losgelassen und im Gleichgewicht gehen. Das schließt die Übergänge zwischen den Gangarten und das geschlossene Halten ein. Geritten wird im Arbeitstempo und in der Verstärkung (Mittelgalopp, Mitteltrab und Mittelschritt). Es wird „Schwung“ erzeugt und gefestigt – der Grundstein für die spätere Versammlung.

 

Feine Hilfen: Geschlossen stehen und Schwung entwickeln – was die Hengste nach einem Jahr können, schafft manches Freizeitpferd im ganzen Leben nicht …
O´Brien: Dann sprechen wir von mangelhafter Grundausbildung. Ein Pferd muss zumindest geradeaus gehen können, sonst ist pferdegerechtes Reiten unmöglich, auch wenn ich nur ins Gelände reite. Dieses erste Jahr ist die Voraussetzung für alles andere. Das ist so, als ob Sie Autofahren lernen: Sie müssen den Schlüssel umdrehen und den Motor zum Laufen bringen, vorher können Sie nicht losfahren, geschweige denn rückwärts einparken. Wenn das Pferd jeden Tag schief ins Gelände geht, ist Spat programmiert, weil die Sprunggelenke falsch belastet werden.

 

Feine Hilfen: Wann ist die Grundausbildung eines Reiters abgeschlossen? Wenn er im Galopp nicht runterfällt? Wenn er jedes Bein auffußen spürt? Gehört das „Drumherum“ am Boden zur Grundausbildung?
O´Brien: Da der Eleve zusätzlich zu seinem Reitunterricht auch Schulhengste zu betreuen hat, sammelt er Erfahrung im Umgang; er muss ausmisten, füttern, satteln, zäumen, Pferde in die Reitbahn führen und wieder abholen. Er hilft dem Schmied und, bei Bedarf, dem Tierarzt. Er lernt über die Rangordnung der Hengste, die Hierarchie, Psychologie, Skelett, Exterieur und Interieur – sprich „unumgängliches Wissen“, auch schlicht und einfach „Umgang mit dem Pferd“ genannt.
Der Reiter mit guter Grundausbildung muss darüber hinaus natürlich über einen unabhängigen Sitz verfügen. Dies wird erreicht über Longenunterricht, der in der Regel etwa ein Dreivierteljahr dauert. Obwohl der Eleve ab diesem Zeitpunkt dann auch „Lektionen“ reitet (Unterricht auf ausgebildeten Schulhengsten unter Anleitung eines Bereiters), nimmt die Ausbildung an der Longe noch einmal ein weiteres Dreivierteljahr in Anspruch. In diesen eineinhalb Jahren wird nicht nur der Sitz gefestigt, sondern auch Wert auf das Gefühl und die Einwirkung gelegt. So muss der Eleve nicht nur jederzeit wissen, welches Pferdebein ab- oder auffußt, er muss in der Lage sein, ohne Bügel, ohne Zügel- und ohne Stimmhilfen an einem bestimmten Punkt, nur mit seinem Sitz, die Gangarten zu wechseln. Erst dann darf er die Zügel verwenden.
Während dieser Zeit muss sich der junge Reiter auch das nötige theoretische Wissen aneignen, um dann im praktischen Unterricht die Anweisungen des ihn unterrichtenden Bereiters umzusetzen und die Zusammenhänge zu kennen. Dieses Können und dieses Wissen wird ihn später in die Lage versetzen, seinen ihm zugeteilten Hengst bis zur Hohen Schule auszubilden.

 

Feine Hilfen: Gehören das Reiten von Seitengängen und/oder Schenkelweichen zur Grundausbildung des Reiters oder des Pferdes?
O´Brien: An der „Spanischen“ reicht die Grundausbildung eigentlich sogar bis zur Klasse S. Erst wenn der Eleve ein S-Pferd nachreiten kann, darf er einen Junghengst ausbilden. Außerhalb wäre es schön, und bei der Pferdeausbildung hilfreich, wenn der Pferdebesitzer in der Lage wäre, Seitengänge zu reiten, da sie nicht nur der Lösung, sondern auch der Versammlung dienen. Die Grundausbildung sollte aber zunächst durch Geradeausreiten auf geraden und gebogenen Linien gefestigt werden, wobei die Zehn-Meter-Volte die kleinste Biegung ist, die dem Pferd abverlangt wird. Dann beginnt man mit Schultervor und nach einigen Monaten entwickelt man Schulterherein und Travers. Erst wenn man beide Körperseiten des Pferdes in den Seitengängen verkürzen kann, kann man auch das Pferd in sich verkürzen, also eine gewisse Versammlung erreichen. Schenkelweichen wird an der Spanischen nicht geritten. Das Pferd lernt in der Vorhandwendung das Seitwärtstreten auf Schenkeldruck.

 

Feine Hilfen: Ist die Grundausbildung jemals abgeschlossen?
O´Brien: Nicht wirklich. Je länger man sich mit dem Reiten befasst, desto mehr erkennt man, wie wenig man eigentlich kann. Hat ein Reiter das Gefühl, ausgelernt zu haben, steht er in Wirklichkeit in einer Sackgasse.

 

Feine Hilfen: Wie beurteilen Sie die Grundausbildung der meisten Reiter im deutschsprachigen Raum? Was läuft gut, was ist verbesserungswürdig?
O´Brien: Jeder möchte möglichst schnell möglichst weit kommen. Oft werden „Abkürzungen“ genommen, die sich später als Umwege oder gar Sackgassen herausstellen. Die meisten Defizite gibt es beim Sitz. Durch die unzureichende Grundausbildung schleichen sich viele Fehler in Sitz und Einwirkung ein – es kommt immer wieder zu „Missverständnissen“ zwischen Reiter und Pferd, die meist damit enden, dass der Reiter auf eine gröbere Einwirkung zurückgreift.
Ein weiterer Punkt ist das mangelnde Allgemeinwissen ums Pferd einerseits und um die Ausbildung andererseits. Ein Manko, das in der heutigen Zeit mit dem Angebot an Büchern und DVDs leicht behoben werden kann. Erst mit der entsprechenden Grundausbildung (Sitz, Gefühl und Wissen) wird der „denkende Reiter“ in der Lage sein, sein Pferd auf eine Art und Weise bis in die höchste Klasse zu fördern, die allen Beteiligten gerecht wird.

 

Das Gespräch führte Claudia Weingand.

 

 

Category: Aktuelle Themen

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